Die Enteignung
Veränderungen in der Landwirtschaft durch die Enteignung im Jahr 1930.
Durch die politischen Wandlungen im Lande begann auch eine neue Epoche für die Dorfbewohner. Im Rahmen der neuen Gesetze, die vom Zentralen Exekutivkomitee am 1. Februar 1930 erlassen wurden, wurden alle Bauern gezwungen „freiwillig“ einer Kolchose beizutreten. Die Kolchose ist eine Kollektivwirtschaft mit Vergemeinschaftung der in Privateigentum sich befundenen Viehbestandes und auch des Landbesitzes, mitsamt der Landtechnik. Schon Ende Januar hatte das Politbüro dem lokalen Parteikomitee die Anweisung gegeben, die sogenannten „Konterrevolutionäre“, d.h. die Bauern, die der verordneten Maßnahme Widerstand leisten, festzunehmen und in ein Sammellager (Konzentrationslager) zu bringen. Die meisten gingen dort erbärmlich zugrunde oder wurden direkt umgebracht.
Es gab auch wohlhabendere Dorfbewohner, die erfolgreich mit ihrer Wirtschaft waren und auch Angestellte oder Hilfskräfte beschäftigten. Sie wurden von der Sowjetregierung als Bedrohung gesehen und als „Kulaken“ (wörtliche Übersetzung: „Faust“) bezeichnet, die „die Arbeiterschaft ausbeuteten“. Sie sollten in entlegene Gegenden, meistens nach Sibirien deportiert werden.
Auch im Dorf Kanzerowka wurden Versammlungen durchgeführt, wo die Bauern eingeschüchtert und bedroht wurden. Aus Erfahrung wussten die Bauern, dass dies keine leeren Drohungen waren. Es fand auch reichlich Bestätigung durch die Ereignisse in den Nachbarsiedlungen.
Schweren Herzens brachten die Bauern ihre Nutztiere und ihre Landmaschinen zur Sammelstelle. Jede Familie durfte jeweils ein Schwein, eine Kuh, ein paar Schafe und 10 Hühner behalten. Den Rest mussten sie an der Sammelstelle abgeben. Die Tiere wurden in den großen Stallungen der Bauern untergebracht. Größere Stallungen in Kanzerowka hatten die Bauern: Heinrich (David) Rempel, Heinrich (Kornelius) Kehler, Heinrich (Jakob) Esau, Jakob (Jakob) Esau, David (Abraham) Olfert, Heinrich (Heinrich) Thiessen, Gerhard (David) Rempel und Dietrich (Dietrich) Olfert.
Es existieren keine zuverlässigen Quellen, die genau dokumentieren, was alles an Technikgeräten eingesammelt wurde. Durch Überlieferungen ist bekannt, dass es drei Dreschmaschinen gewesen sind, die früher den Bauern Heinrich David Rempel, Gerhard Johann Peters und Jakob Jakob Esau gehörten. Zusätzlich wurden den Bauern weit über 100 Arbeitspferde enteignet. Das Land der Bauern wurde in größere Felder zusammengelegt. Zu diesem Dorf gehörten insgesamt 1660 Hektar Land.
So entstand die Kolchose (Kollektivwirtschaft) „Pobeda“, dieses bedeutet wörtlich übersetzt „Sieg“. Damals war es üblich, die Kolchosen nach berühmten kommunistischen oder sozialistischen Persönlichkeiten oder mit positiv klingenden Namen zu benennen.
Nach der Umstrukturierung in den Jahren 1936/1937 ging dieser Name jedoch verloren. Bei der Umstrukturierung wurde das Land neu vermessen. Kanzerowka hatte bis dahin
1660 ha Land. Die Felder im westlichen Bereich wurden anderen Dörfern zugeteilt, aber neue Felder im südwestlichen Bereich kamen dazu, die von 7 bis 10 durchnummeriert wurden. Außerdem kam noch Weideland dazu, was in den hügeligen Regionen lag. Die Felder und das Weideland gehörten davor zum Dorf Elektrosawod.
Eine weitere Veränderung war, dass das Dorf nicht mehr in zwei Abteilungen eingeteilt war, sondern eine einzige Abteilung, mit nur einem Abteilungsleiter war.
Den Arbeitern in den Kolchosen wurden pro Arbeitstag so genannte Arbeitseinheiten angerechnet, die dann am Ende des Jahres mit Getreide entlohnt wurden. Je nach Erntelage in dem abgelaufenen Jahr schwankte die Entlohnung zwischen 300 g bis 10 kg Getreide pro Arbeitseinheit. Aufgrund mangelnder Erfahrung und einfacher Schlamperei der Vorsitzenden wurden die Arbeitseinheiten für die einzelnen Tätigkeiten willkürlich verrechnet und dementsprechend auch ohne Bezug zur verrichteten Arbeit bezahlt. Im Ergebnis bekamen die Menschen zu wenig Lohn, um davon leben zu können. Teilweise war dies auch der Grund, weshalb im Jahr 1933 eine große Hungersnot ausbrach. Ein anderer Grund war die Missernte im Jahr zuvor.
Ein Zeitzeuge berichtet aus dem Jahr 1935:
Der Winter im Jahr 1935 war geprägt von sehr viel Schnee. In der Steppe gab es keine Wälder, die das Dorf von den Schneestürmen hätten schützen können. Dies führte dazu, dass sich im Dorf hohe Schneedünen ansammelten. Der Frühling kam sehr früh und auf der Steppe schmolz der Schnee schneller als im Dorf. Die Bauern mussten die Schneedünen durchgraben, damit sie mit ihren Geräten auf das Feld hinaus konnten. Ich als 14-jähriger Junge bin damals mitgefahren. Auf dem Feld haben wir die Stellen, die bereits trocken waren, geeggt, danach eingesät. Problematisch war es mit dem Essen, denn es wurde zu wenig Proviant aus dem Dorf mitgenommen. Zwei Wochen hielten wir uns über Wasser, indem wir Feldmäuse (besser bekannt als Susliki) jagten, ihnen das Fell abzogen und sie ausnahmen. Anschließend kochten wir sie über dem Feuer. Eine andere Nahrungsquelle war das Saatgut, welches wir wuschen, damit es frei war von dem Gift und ebenfalls kochten. Das war aber mit großen Gefahren verbunden, denn wenn es einer von den Vorgesetzten sah, gab es hohe Strafen und sogar mit Gefängnis drohten sie uns.
Jahre Kolchose